Den menschlichen Körper wertschätzen
Zu Besuch beim Künstler Christoph R. Aerni
Der Gunzger Christoph R. Aerni ist insbesondere für seine ästhetischen Aktmalereien bekannt. Dass das Schaffen des 65-Jährigen jedoch noch viel umfangreicher ist, ist den wenigsten bewusst.
Egerkingen Ein Besuch in Christoph R. Aernis Atelier in Egerkingen fühlt sich an wie ein Besuch im Leben des Künstlers. Neben einer grossen Vielfalt an Bildern mit den unterschiedlichsten Motiven fällt auch die Pinnwand mit den Zeitungsartikeln auf. Es sind diverse Prominente, welche neben dem Gunzger mit dem markanten Schnauzer posieren und die ihm irgendwann einmal Modell standen oder für die er malte. Dabei zeigt sich: Der Gäuer, welcher dem breiten Publikum durch seine Aktmalereien bekannt wurde, ist vielfältiger auf dem Kunstparkett unterwegs, als gedacht. So verewigte der Künstler auch schon Tiere und andere Themen, wie ein aktuell in seinem Atelier ausgestelltes Bild einer Kuh beweist. Oder ein grosses Bild der Öfen, die heute noch in der KZ Gedenkstätte in Dachau zu sehen sind. «Zu 90 Prozent beschäftige ich mich bei der Arbeit tatsächlich mit der Schönheit des menschlichen Körpers», bestätigt Christoph R. Aerni. «Aber ich schätze es, auch hin und wieder ein Bild zu malen, welches kritische Diskussionen auslöst. Ich finde es nämlich schade, wenn man nur Bilder malt, welche im Wohnzimmer aufgehängt werden. Ich mag Kritik aus guter Quelle und zeige gerne, dass ich auch anderes mache, als lediglich Aktmalereien.» Trotzdem ist die Begeisterung des Künstlers, welcher dank seinem Vater zur Malerei kam, für den menschlichen Körper ungebrochen ? das kommt nicht von ungefähr. «Obschon bereits in der zweiten Klasse für mich feststand, dass ich Kunstmaler werden wollte, wäre ein weiterer Traumberuf von mir Chirurg gewesen, wobei ich anfing Anatomie zu studieren», erzählt er. Obwohl der Gunzger dieses Berufsziel nicht weiterverfolgte und sich stattdessen für eine Steinbildhauerlehre entschied, blieb ihm dieses Interesse erhalten und kam ihm während der Lehre im Bereich des Aktzeichnens zu gute. «Für mich ist wichtig, dass die Leute sehen können, wie sehr ich den menschlichen Körper - insbesondere den weiblichen - verehre. Wer wegen meiner Bilder zur ?Me too?-Debatte gelangt, liegt falsch. Es ist nämlich gerade umgekehrt. Mit meinen Bildern verherrliche ich den weiblichen Körper und zeige meine Wertschätzung. Mit Schmuddelbildern hat das nichts zu tun, das ist klar ersichtlich. Ausserdem musste ich noch nie ein Modell selbst suchen ? diese kamen immer vollkommen freiwillig zu mir und inspirierten mich mit ihren eigenen Ideen und Initiativen bei der Arbeit. Für mich ist wichtig, dass die Leute wieder vermehrt Freude an ihrem Körper finden!»
Diszipliniert bei der Arbeit
Wer denkt, dass ein Freigeist wie Christoph R. Aerni einfach auf der Leinwand zu pinseln beginnt, hat Unrecht. «Ich gehe sehr klassisch vor, wenn ich mit der Arbeit beginne», erklärt er. «Erst fertige ich Skizzen an, dann folgt eine Aquarellstudie und am Ende das Ölbild.» Seinen Stil bezeichnet der Künstler als figurativ und abstrakt zugleich. «Man könnte grob sagen, dass man die drei Künstler Rembrandt, Velásquez und Pollock zusammen in einen Topf werfen kann, rühren und am Ende kommt ein Aerni dabei heraus.» Der Gäuer ist ausserdem sehr diszipliniert, wenn es um seine Arbeit geht - das war schon immer so, da er mit seiner Malerei seine sechsköpfige Familie ernährte. «Auch heute, obwohl meine Kinder längst selbstständig sind, gehe ich oft auch samstags oder sonntags ins Atelier. Wenn ich das mal nicht mache, dann gehe ich mit meiner Frau golfen. Ich bin noch zu jung, um auf dem Sofa zu sitzen und fernzusehen», meint er mit einem humorvollen Zwinkern.
Die Region profitiert
Obwohl der Gunzger in der Vergangenheit seine Bilder unter anderem mehrmals in New Yorker Galerien ausstellen konnte, vergass er nie, wo seine Wurzeln sind. So fertigte er einen Grossauftrag für das Schulhaus Gunzgen an. «In dem dort aufgehängten Werk sind die Dorfvereine verewigt», erklärt er. Ausserdem wurde kürzlich die Kirche Egerkingen renoviert, wobei Anfang dieses Jahres die Zeitkapsel in der Kirchturmspitze neu befüllt wurde. Neben diversen Dokumenten wurde auch ein Bild von Christoph R. Aerni beigelegt. «Meine Frau hat das für mich aufgegleist und der Pfarrer war sofort angetan von der Idee», verrät er und fährt schmunzelnd fort: «Natürlich habe ich dafür kein Aktbild ausgewählt, sondern das Porträt eines alten Mannes, welcher einen Stumpen raucht.» Wie für die meisten Kunstschaffenden war das vergangene Jahr für Christoph R. Aerni alles andere als einfach. «Ich hoffe sehr, dass ich im November 2021 eine Atelier-Ausstellung in meinem Atelier in Egerkingen veranstalten kann. Aktuell plane ich auch im kommenden März etwas dergleichen zu machen, aber aufgrund der aktuellen Lage ist das noch nicht so klar.» Worüber sich der Künstler aber sehr freut, sind angemeldete Besuche in seinem Atelier. «Das ist im Moment gut realisierbar, da ich über ein grosses Atelier und ein gut ausgearbeitetes Schutzkonzept verfüge. Ausserdem kann ich mir durch die reduzierte Besucheranzahl individuell Zeit für meine Besucher nehmen, was bei einer Ausstellung kaum möglich wäre», ermutigt er alle kunsthungrigen Leser.
Von Jessica Meier