«Spielt nicht mit dem Feuer»
Interview mit dem Industrie- und Handelsverein Region Olten über die bevorstehende Abstimmung zum Oltner Budget 2022
Am 13. Februar stimmt das Oltner Stimmvolk darüber ab, ob der Steuerfuss bei natürlichen Personen um 2% auf 110% und bei juristischen Personen um 10% auf 118% angehoben werden soll. Wir haben bei Urs Nussbaum (Präsident) und Stephan Glättli (Sekretär) vom Industrie- und Handelsverein Region Olten (IHVO) nachgefragt, welche Konsequenzen besagte Steuererhöhung für die Oltner Firmen haben würde.
Urs Nussbaum, damit unsere Leserschaft einen Eindruck davon erhält, wer in Olten wie stark von der allfälligen Steuererhöhung betroffen wäre: Wie viele Steuersubjekte gelten in der Stadt als juristische und natürliche Personen?
Urs Nussbaum: In Olten gibt es rund 1‘600 juristische Personen und 14‘000 natürliche Personen. Das heisst, die juristischen Personen machen knapp mehr als 10% der gesamten Steuersubjekte aus, tragen aber rund 20% zum Steueraufkommen der Stadt von etwa 70 Millionen Franken bei. Ein interessanter Trend, der in den letzten Jahren zu beobachten ist: Olten kann ein Wachstum bei den juristischen Personen verzeichnen. Das zeigt, dass der bisherige Mix von Steuern und weiteren Standortfaktoren eigentlich nicht schlecht ist.
Stephan Glättli, mit welchen Standortfaktoren punktet Olten bei Unternehmen am meisten?
Stephan Glättli: An erster Stelle – das ist kein Geheimnis – steht die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr. Das führt insbesondere dazu, dass mobile Gesellschaften, Dienstleistungsunternehmen etc. hierher kommen. Hinzu kommt, dass die Boden- und Mietpreise speziell für Büroräumlichkeiten im Vergleich zu den Ballungszentren Bern, Basel und Zürich günstig sind. Handkehrum befindet sich Olten im Spannungsfeld Aarau – Zofingen – Liestal – Sursee – Solothurn. Viele dieser Gemeinden sind ebenfalls gut erreichbar. Insbesondere die Ortschaften in den Kantonen Aargau und Luzern haben aber zusätzlich den kompetitiven Vorteil eines tieferen Steuerniveaus.
Im November wandte sich der IHVO mit einem offenen Brief an das Parlament und warnte eindringlich vor der Erhöhung des Steuerfusses. Hätten Sie auch einen Brief verschickt, wenn «nur» der Vorschlag des Stadtrats – eine Erhöhung der Steuerfüsse von je 4% – im Raum gestanden hätte? Und stossen Ihrer Ansicht nach die Anliegen der Wirtschaft auf zu wenig Gehör im Parlament?
Urs Nussbaum: Bezüglich der 10% gibt es zweierlei anzumerken: Einerseits die Zahl an sich, andererseits aber auch, wie diese zustande kam. Der Stadtrat schlug für juristische Personen wie erwähnt eine moderatere Lösung vor. Die Finanzkommission, notabene das Fachgremium, wollte bei den bisherigen Steuerfüssen bleiben. Es hat etwas Handstreichartiges, wenn dann auf einmal gesagt wird: «Ach komm, wir machen doch spontan 10% mehr für Unternehmen.» Vor einem Jahr wurden von linker Seite sogar plus 30% ins Spiel gebracht. Dies sorgt bei den Unternehmen natürlich für Unruhe und schafft Verunsicherung. Wer Investitionen in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren plant, benötigt Berechenbarkeit und nicht derlei Manöver im Parlament.
Stephan Glättli: Knapp die Hälfte unser rund 180 Mitglieder im Interessenverband sind in Olten ansässig. Bei der aktuellen Ausgangslage, die vorliegt, nämlich dass die Rechnung der Stadt Olten stets besser als prognostiziert abgeschnitten hat, habe ich den Eindruck, dass wir uns als Verband auch dagegengestellt hätten, wenn «nur» der Vorschlag des Stadtrats zur Diskussion gestanden wäre. Der Nachweis ist schlichtweg nicht erbracht, dass eine Steuererhöhung notwendig ist. Für die Rechnung 2021 wird prognostiziert, dass wir 7 bis 8 Millionen Franken über dem budgetierten Minus von 3,7 Millionen liegen werden.
Durch die Steuererhöhung würden pro Jahr gut 2 Millionen Franken mehr in die Stadtkasse fliessen. Dadurch wird mitunter in die städtische Infrastruktur investiert, was schlussendlich ja auch den ortsansässigen Unternehmen zugutekommt. Will der IHVO nicht einfach nur den Fünfer und das Weggli?
Urs Nussbaum: Haben Sie ein Beispiel, was den Unternehmen zugutekommt? Es wird in Kinderspielplätze und ein Schulhaus investiert. Davon profitieren die Unternehmen nur indirekt, wenn die Unternehmer beziehungsweise deren Angestellte hier wohnen. Die Steuergelder kommen also primär der Wohnbevölkerung zugute, was zur Folge hat, dass sich Olten mehr als Wohn- und Schlafstadt, aber weniger als attraktiver Unternehmensstandort positioniert.
Die geplante Umgestaltung des Bahnhofplatzes kommt also den Unternehmen bezüglich besserer Erreichbarkeit nicht entgegen?
Urs Nussbaum: Die Oltner Verkehrspolitik ist ein Desaster, Verbesserungen sind zwingend notwendig. Es wird in Olten aber eher dahingehend investiert, wie man den Verkehr der Unternehmen verhindern kann. Es ist mir jedoch wichtig, anzumerken, dass wir als IHVO nicht die Investitionen bekämpfen, welche demokratisch beschlossen worden sind. Wir sind aber der Meinung, dass diese Investitionen auch ohne Steuererhöhung möglich, ja vielleicht sogar noch besser realisierbar sind. Denn in der Tendenz sind die Steuereinnahmen der Stadt Olten steigend.
Dem Stadtrat und dem Parlament sind diese Zahlen ja auch bekannt; dennoch rechnet der Stadtrat vor, dass die Nettoverschuldung pro Person auch mit Steuererhöhung noch weiter steigen würde. Was läuft aus unternehmerischer Sicht – abgesehen von der zu defensiven Budgetierung – falsch bei der Finanzplanung der Stadt?
Stephan Glättli: Der Entscheid im Parlament fiel so knapp wie nur möglich mit einer Pattsituation und einem Stichentscheid des Parlamentspräsidenten aus. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, was man besser machen könnte – sofern es uns überhaupt zusteht, dem zuständigen Organ der Stadt Vorschläge zu unterbreiten: Wenn man der Meinung ist, sich mit dem Status quo nicht alles leisten zu können, dann ist es aus Sicht der Wirtschaft und einer vernünftigen Person, die mit ihrem Geld haushälterisch umgehen muss, die logische Konsequenz, dass man sich Prioritäten setzt. Was ist am wichtigsten und was kommt zuerst? Weiter gilt es zu hinterfragen, woher man die Mittel zur Finanzierung nimmt. Der jährliche Steuerertrag muss die Projekte nicht 1:1 finanzieren können. Dafür haben Gemeinden Eigenkapital – falls vorhanden – oder Fremdfinanzierungsmöglichkeiten. Weiter verfügt die Stadt Olten über Immobilien, bei welchen unklar ist, weshalb sich die Stadt an diesen festklammert. Liessen sich diese allenfalls nicht in Geld ummünzen, um die bevorstehenden Investitionen stemmen zu können? Gleichzeitig ist die Stadt Olten Planungsbehörde und hat es entsprechend in der Hand, beispielsweise das Rötzmatt-Areal aufzuwerten, wirtschaftlicher zu nutzen und einen Mehrerlös zu erzielen. All dies sind Möglichkeiten, bei welchen wir den Eindruck haben, dass diese noch nicht vollends ausgeschöpft wurden.
Urs Nussbaum: Hier sind wir wieder bei den Prioritäten: Der Schulhausneubau, die Umgestaltung des Bahnhofplatzes, dies sind Kernaufträge, welche es zu erledigen gilt. Aber alles andere was «nice-to-have» ist, Wohnungen und weitere Immobilien, davon trennt man sich. Die Stadt unterscheidet ja selbst zwischen Verwaltungs- und Finanzvermögen. Ersteres ist jenes, was benötigt wird: Stadthaus, Strassen und so weiter. Letzteres ist jenes, bei welchem die Stadt selbst sagt: «Hmm, das ist eigentlich nicht unser Kernbereich.» Und dies sind «schlappe» 30 Millionen. Deshalb sehen wir wie erwähnt durchaus noch Potential, bevor man mit einer Steuererhöhung daherkommen sollte, welche die Attraktivität des Standorts zweifelsohne mindert.
In Grenchen wurde der Steuerfuss der juristischen Personen für 2022 erst gerade massiv von 92 auf 120% erhöht. Die grosse Empörung scheint dort vonseiten der Wirtschaft ausgeblieben zu sein.
Urs Nussbaum: Diesbezüglich muss man im Hinterkopf haben, dass es noch nicht lange her ist, dass Grenchen den genannten Steuerfuss von 120% auf 92% gesenkt hat. Insofern dürften die dort ansässigen Unternehmen bereits abgehärtet sein. Ich kann nur meinen eingangs erwähnten Punkt nochmals bekräftigen: Eine Steuerpolitik von «hüst und hott» ist aus Unternehmersicht kaum zuträglich. Konstanz ist für uns enorm wichtig. Klar wird es nun in Grenchen Leute geben, die sagen: «Seht ihr, die 92% haben nichts gebracht.» Natürlich bringt es nichts, wenn man nur zwei Jahre daran festhält. Und um nochmals auf die rund 1'600 juristischen Personen in Olten zurückzukommen: Ca. 5% davon bezahlen 80% der Unternehmenssteuern und es ist offensichtlich, dass nur wenig nötig ist, damit die ganze Übung der Steuererhöhung zur Makulatur wird oder sich sogar ins Negative bewegt. Firmen mit mehreren Standorten haben auch die Möglichkeit, das Steuersubstrat an einem anderen Standort entstehen zu lassen, sei es mit Lizenzen, Patenten oder weiteren Möglichkeiten. Jede Firma hat ihre eigene Schwelle, wann für sie ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt. Dies ist die grosse Warnung, welche wir als IHVO aussprechen: Spielt nicht mit dem Feuer.
Einen günstigen Moment für eine Steuererhöhung gibt es für Unternehmen ja ohnehin nie. Was halten Sie denn davon, dass man dies nun während einer Pandemie tun will?
Urs Nussbaum: Wir befinden uns aktuell in einem äusserst herausfordernden Umfeld mit Beschaffungsschwierigkeiten und unverschuldeten Umsatzeinbussen. Und jetzt will Olten herausfinden, ob wohl noch 10% mehr drin liegen… eine gewagte Strategie.
Stephan Glättli: Ich habe den Eindruck, dass insbesondere in jenen Unternehmungen, bei welchen die Eigentümerschaft lokal verwurzelt ist – was bei der Mehrheit der juristischen Personen der Fall sein dürfte – durchaus Verständnis für eine Steuererhöhung vorhanden wäre, wenn die Rahmenbedingungen dafür auch wirklich gegeben sind. Da viele Unternehmen der Meinung sind, dass dem nicht so ist, muss man sich nicht wundern, dass die Gegenwehr nun entsprechend gross ist.
Im Brief des IHVO ans Parlament stand auch, dass die Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) viele Unternehmen nicht entlaste, sondern das Gegenteil der Fall sei. Ist die STAF ein Fehlkonstrukt?
Urs Nussbaum: Das ist ein wichtiger Punkt. Die STAF wurde nicht wegen KMUs oder Familienunternehmen ins Leben gerufen, sondern um Konzerne unter den Vorgaben der OECD, der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Schweiz zu behalten, da diese der Auffassung war, dass das bisherige Steuerregime geändert werden müsse. Mit diesen Konzernen waren 5 Milliarden an Steuereinnahmen verbunden. Das hat funktioniert, dieses Steuersubstrat bleibt uns erhalten. Aber es ist keine Reform, welche dazu angedacht war, KMUs zu entlasten. Dies hat auch nicht stattgefunden. Der Preis der STAF sind Gegenfinanzierungen, das ist der politische Kompromiss. Dadurch wurden die Entlastungen im Prinzip wieder ausgeglichen, weshalb die KMUs auch nicht davon profitieren, sondern es fallweise sogar zu einer Mehrbelastung geführt hat. Wenn nun die STAF als Vorwand verwendet und gesagt wird: «Ihr wurdet entlastet, also können wir die Gemeindesteuern heben», dann stimmt dies so nicht. Wenn man die Analyse macht, darf nicht nur auf die Erträge der juristischen Personen geschaut werden: Ja, dort ist es möglich, dass die Einnahmen aufgrund der Tarifreduktion ein wenig sinken können. Auf der anderen Seite gibt es massiv höhere Transfererträge und die Steuereinnahmen der Privaten dürfen nicht ausser Acht gelassen werden. So wurde etwa die Dividenden- und die Vermögenssteuer massiv angehoben. Man muss die Gesamteinnahmen der Stadt betrachten und daraus die Bilanz ziehen.
Interview: David Annaheim