Wenn Dorfgeschichte droht in Vergessenheit zu geraten
Seit einem Jahr ist Rita Jäggi als Kulturgutverwalterin verantwortlich für das Fulenbacher Dorfmuseum. Hier werden schon seit einem Vierteljahrhundert erhaltenswerte Gegenstände aus Fulenbach aufbewahrt. Die 82-Jährige hofft, ihr Wissen über die Ausstellungsstücke in absehbarer Zeit an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger weitergeben zu können, damit die Dorfgeschichte nicht in Vergessenheit gerät.
Fulenbach Im Untergeschoss der Abdankungshalle des Fulenbacher Friedhofs befindet sich das Dorfmuseum. Im Raum, der von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurde, befinden sich mittlerweile über 700 Gegenstände, zusammengetragen aus dem Dorf und in Schuss gehalten von Rita Jäggi. Ursprünglich fiel die Aufgabe der Verwaltung in die Hände ihres verstorbenen Ehemannes Willi Jäggi: Der damalige Gemeindepräsident hatte ihn 1995 auserkoren, um Requisiten aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert zu sammeln und für die Nachwelt zu erhalten. «Davor war es noch eine ungeordnete Sammlung», erinnert sich die 82-Jährige. «Das wollten Willi und ich nicht so belassen.» Seither kümmerten sie sich pflichtbewusst um den Unterhalt.
Nachfolger gesucht
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 2020, als die Kultur- und Freizeitkommission Fulenbach schon auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger war, entschied sich Jäggi, die Verantwortung zu übernehmen. Das Wissen über die Gegenstände hatte sie bereits, da sie ihren Mann von Beginn an unterstützt hatte. Nun ist sie die Chefin über das Museum und leitet dieses liebevoll. Besucht werden kann die Ausstellung von Schulklassen, Vereinen, Firmen und Familien auf Anfrage. Auch der Kindergarten, der gleich oberhalb des Friedhofgeländes liegt, stattete dem Museum erst gerade in diesem Sommer einen Besuch ab.
Jedes Stück hat seine eigene Geschichte
Rita Jäggi führt Interessierte durch das Museum und weiss zu jedem einzelnen Stück eine Geschichte zu erzählen. Da gibt es zum Beispiel den ersten Fernseher von Fulenbach, Schulbänke mit Schreibtafeln und auch alte Blasinstrumente der hiesigen Harmoniegesellschaft. Zum Schmunzeln sind die alten Holz-Ski, die ihrer Familie gehörten, und auch Winterschuhe ihres eigenen Sohnes haben im Museum ihren Platz gefunden.
Der letzte Einsatz des Spritzwagens
Mit dem Feuerwehrwagen, der im Museum ebenfalls seinen Platz gefunden hat, verbindet Rita Jäggi eine ganz spezielle Geschichte. Beim letzten Einsatz des Fulenbacher Feuerwehrspritzwagens mit Baujahr 1865 war sie vier Jahre alt. Es war ein unvergessliches Ereignis: «Das Feuerhorn ertönte und die Glocken läuteten. Mein Grossvater und seine beiden Söhne rannten zum brennenden Haus im Dorf, um bei den Löscharbeiten zu helfen.» Rita Jäggis Grossmutter, damals 62-jährig, erlitt aufgrund des riesigen Aufruhrs einen Schock: Sie dachte, das eigene Haus der Familie stünde in Flammen. «Meine Mutter rief den Dorfarzt, der nur noch feststellen konnte, dass Grossmutter einen Hirnschlag erlitten hatte. Noch während dem Brand musste meinem Grossvater und dessen Söhnen mitgeteilt werden, dass seine Frau, beziehungsweise ihre Mutter am Sterben liegt.»
Eine erfüllende Aufgabe
Die Ausstellungsgegenstände im Dorfmuseum sind mehrheitlich Spenden von einheimischen Familien. «Am Anfang hat es ein wenig geharzt, den bestehenden Platz zu füllen», so Jäggi. Mit ein wenig Überzeugungskraft habe sich dann aber immer mehr angesammelt. Mittlerweile ist der kleine Raum übervoll und in jeder Schublade gibt es etwas zu entdecken, zum Beispiel Sezierbesteck eines ehemaligen Arztes. Für Rita Jäggi ist die Verwaltung des Dorfmuseums eine Herzensangelegenheit. Und auch wenn es sich als schwierig entpuppt, hofft sie in absehbarer Zeit eine passende Nachfolge zu finden. Denn: «Das Wissen dazu hat ausser mir aktuell niemand.» Und so drohen die Geschichten zu den zahlreichen Museumsstücken in einigen Jahren in Vergessenheit zu geraten-
Text Annsophie Wawer & David Annaheim